Nach der Hauptschule stand ich vor einer großen Entscheidung: Welchen Beruf sollte ich ergreifen? Eine klare Vorstellung hatte ich nicht, aber eines wusste ich sicher – ich wollte arbeiten, etwas lernen, mein eigenes Leben beginnen. Da es in meiner Heimat Burgau keine passende Lehrstelle gab, durchforstete ich die Tageszeitung. Dort entdeckte ich eine Anzeige für eine Maler und Anstreicher-Lehre in Graz, etwa 60 Kilometer entfernt. Die Stelle wurde mit Kost und Quartier angeboten. Nach Rücksprache mit meinen Eltern schrieb ich eine Bewerbung. Wenige Tage später kam die Einladung zum Vorstellungsgespräch – mit dem Hinweis, möglichst sofort mit der Lehre zu beginnen.
Mein Vater brachte mich schweren Herzens zu meiner neuen Heimat. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als er mich der Familie meines Lehrherrn übergab. Die Chefin, eine warmherzige Frau um die vierzig, bemerkte meine Traurigkeit und nahm mich liebevoll in Empfang. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer“, sagte sie und legte ihren Arm um meine Schulter. Ein eigenes Zimmer, klein aber fein – mit Strom! Keine Petroleumlampe mehr. Gelegen am Stadtrand von Graz in einem gepflegten Einfamilienhaus. Die Werkstatt war im Keller, im Erdgeschoss lebten der Chef und die Chefin. Im Obergeschoss – wo auch ich mein Zimmer hatte – wohnte der Sohn des Hauses.
Die ersten Wochen gehörten zu den härtesten meines jungen Lebens. Die Trennung von meiner Familie, die ungewohnte Arbeit und die körperliche Belastung setzten mir stark zu. Meine Finger waren wund und aufgerieben vom Schleifpapier. Ich war kurz davor, alles hinzuwerfen. Aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung fuhr sonntags kein Bus. Deswegen konnte ich erst nach vier Wochen zum ersten Mal für einen Tag zu meiner Familie nach Hause. Meine Eltern und Brüder waren sehr stolz auf mich, nachdem mir das so richtig bewusst wurde, entschloss ich mich doch, meine Lehre fortzusetzen.
Speziell im Sommer hatten wir viel Arbeit: Aufstehen um 5:30 Uhr, Werkzeug und Material verladen, Arbeitsbeginn spätestens um 7 Uhr. Gearbeitet wurde mindestens bis 17 und Samstag bis 13 Uhr.
Die große Entfernung und die schlechte Verbindung nach Hause führten zu einer spürbaren Entfremdung. Gleichzeitig gewöhnte ich mich schnell an das Leben und die Arbeit in Graz, das so viel mehr zu bieten hatte als mein kleines Heimatdorf. Ich fuhr mit der Straßenbahn, besuchte Kaffeehäuser und Kinos und lernte nicht nur das Malerhandwerk, sondern auch viel über das Leben. Am meisten jedoch lernte ich über mich selbst – und wurde dabei eigenständig und selbstbewusst.
Mit den wenigen Taschengeldern, die ich bekam, konnte ich kaum etwas anfangen. Also nahm ich Zusatzarbeiten an: Obstbäume mit Schädlingsbekämpfungsmittel besprühen, Rasen mähen usw. Meinem Lehrherrn gefiel mein Engagement, deshalb stellte er mir ein altes Fahrrad mit Anhänger zur Verfügung, so war ich mobil.
Ab dem zweiten Lehrjahr vermittelte mir mein Chef kleinere Aufträge, die für ihn nicht lohnend, aber für mich das große Geld bedeuteten. Ich sparte fleißig und kaufte mir ein gebrauchtes Puch – Moped – einen Zweisitzer. Damit fuhr ich sonntags stolz nach Hause. Meine Eltern freuten sich, weil sie mich so öfter sehen konnten. Für die Brüder war ich noch immer der Rotschopf, aber das war mir egal. Ich wusste, es war nicht böse gemeint.
Gegen Ende meiner Lehrzeit saßen wir gerade bei einer Jause. Wir diskutierten über Bildung, sagte mein Chef im breiten Steirisch: „Merk dir für deine Zukunft – blöd kannst sein, aber du musst dir zum Helfen wissen.“ Ein Spruch, der mich mein Leben lang begleiten sollte.
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